Atemfreiheit

Erfahre deinen Atem - Spüre dein Sein

Wirkung des Erfahrbaren Atems

Generelle Auswirkungen

Den eigenen Atem zu erfahren, wirkt sich auf den Leib und somit Körper, Geist und Seele sowie seine Durchlässigkeit und seinen Tonus positiv aus. Die Empfindungs- und Unterscheidungsfähigkeit der Klientinnen wachsen. Und damit auch das Erkennen eigener Gefühle und Bedürfnisse, was wiederum auf die "Ziele“ der Klientinnen zurückwirkt und ihre Entwicklungsprozesse maßgebend beeinflusst. Das Ansprechen des Heilen ist der zentrale Unterschied zu vielen anderen Therapie- / Behandlungsformaten. Das Verschwinden von Symptomen, wie z.B. Schmerzen, Fehlstellungen und psychischen Belastungen, ist beim Weg des Erfahrbaren Atems eine positive Nebenwirkung, die entstehen kann, und kein explizites Behandlungsziel.

Mehr als Wirkung als ein Ziel des Erfahrbaren Atems ließe sich vielleicht Durchlässigkeit und Weiterentwicklung auf leibseelischer Ebene (Körper, Geist, Seele) nennen, welche zu einer (Rück-) Anbindung, Verwurzelung und Urvertrauen führen. Sie ergeben sich durch das Erfahren des unverfälschten, unbeeinflussten Atems. Seine Qualität, die entstehende Atembewegung, Reichweite und Wirkung sind deutlich anders spürbar als ein willentlich beeinflusster Atemzug. Er ist sanft und gleichzeitig kraftvoll und unnachgiebig, sodass sich auch nach und nach (tief sitzende) leibseelische Spannungen (auf-) lösen können und Platz für Neues schenken. Gleichzeitig stellt sich der ureigene Eutonus im Atem und Leib ein. Im Verlauf der Zeit sind dies natürliche Reaktionen auf die in den Übungen und / oder in den Behandlungen gesetzten Impulse bei der Arbeit mit und auf dem Weg des Erfahrbaren Atems.


Auswirkungen auf leibliche Prozesse

Atmen an sich hat eine Vielzahl an Auswirkungen auf den Leib. Die rein mechanische Atembewegung durch das Weit- und Schmalwerden des Brustkorbs und das Auf und Ab des Zwerchfells beeinflussen viele Organe und ihre Funktionen, z.B. kann das Herz eine regelrechte Massage durch die Zwerchfellbewegung erfahren. Daran schließt sich nahtlos der Einfluss der Atmung auf den Herz-, Lungen- und generellen Körperkreislauf an. Durch die mechanische Bewegung strömt Sauerstoff ein und Kohlendioxid aus. Dieser Kreislauf bestimmt z.B. den Sauerstoffgehalt in unserem Blut und letztlich den gesamten Status unseres Stoffwechsels. Über diese Kreisläufe wirkt die Atmung über das zentrale, steuernde Nervensystem auf weiterem Wege auf die Organ-, Bewegungs- und letztlich wiederum auf die eigene Atemmotorik ein. Durch komplexe Verflechtungen mit den Prozessen der Hirnrinde wirkt sich dies wechselseitig auf die Bewusstseinsvorgänge aus, sprich das, was ich bewusst wahrnehme, erfahre und fühle.

Dabei werden fast alle Leibprozesse unbewusst durch sogenannte subkortikale (unbewusst, instinktiv = Reflex) Zentren gesteuert, also auch Denken, Fühlen, Handeln. Diese Hirnregionen liegen unterhalb der Großhirnrinde, also z.B. im Stammhirn. Das Atemzentrum selbst liegt im Stammhirn in der zentralen Steuerungseinheit, der „Formatio Reticularis“ zwischen Gehirn und Rückenmark im sogenannten verlängerten Mark. Sprich sehr nah am Kehlkopf, und somit der menschlichen Stimme, sowie der Schilddrüse, dem "Gaspedal“ des menschlichen Stoffwechsels.

Ein Großteil der reflektorischen Reize und (Umwelt-) Informationen vernetzen sich im Atemzentrum oder fließen durch es hindurch. So belegen Forschungen bei allen Menschen das gleiche Ergebnis: Bei unangenehmen Reizen, "Bildern“, wird die Atmung flach, der Puls geht schneller, die Muskeln verkrampfen sich. Ein angenehmes "Bild“ verlangsamt den Atem, die Muskeln lockern sich, der Puls kommt zur Ruhe. Auch Ilse Middendorf bestätigt dies erfahrungsbasiert.[1] Deshalb ist laut dem Neurobiologen Gerald Hüther alles hilfreich, was die tieferen Bereiche des Gehirns entlastet und zur Ruhe bringt, weil auf dieser Ebene (innere) "Bilder“ wirken. Hüther ist überzeugt, dass wenn es gelingt "alte Bilder“ in einem neuen Licht zu sehen, etwas im Gehirn passiert. „Wir rufen das alte Gefühl noch einmal wach und koppeln es nicht mit dem Negativen, sondern mit dem Positiven, also mit dem, was wir dadurch gelernt und gewonnen haben.“[2] Die neurowissenschaftliche Forschung zeigt allerdings auch, dass das, was auf die oben beschriebene neurowissenschaftliche Weise ins Bewusstsein gelangt, nur einen verschwindend kleinen Anteil der vom Gehirn generierten inneren "Bilder“ darstellt.[3] Der erste, direkte Abgleich neuer Informationen mit vorhandenen "Bildern“ auf eine Wahrnehmung ist oft instinktiv, "vorbewusst“. Erst in einer zweiten Verarbeitungsstufe kann das bewusste Denken zum Einsatz kommen.  

Hier zeigt der Ansatz nach I. Middendorf seine Wirkkraft. Der Erfahrbare Atem eröffnet die Möglichkeit innere "Bilder“ und somit auch Denk- und Handlungsmuster zu beeinflussen bzw. er verändert sie von alleine. Am Atem Übende werden achtsam(er) im Empfinden ihres Selbst inklusive des Übergangs zwischen Unbewusstem und Bewusstem. Der Unterschied zu den vom klassischen Gesundheitswesen geförderten Methoden / Behandlungen ist folgender: Bei diesen sind die inneren "Bilder“ zuerst da und häufig von außen erzeugt und / oder induziert. In der Atemarbeit nach I. Middendorf ist dagegen zuerst das erfahrende Empfinden da. In einem ihrer Bücher beschreibt sie es ungefähr wie folgt: Wenn ich mir etwas vorstelle, so forme ich mich nach einem Bild, das aus einem Wunsch oder Gedanken geboren ist. Lasse ich den Atem wirken, liegt die Empfindungsfähigkeit „vor dem Entstehen von Bildern und ist durch ihre Unmittelbarkeit das Organ der ganzheitlichen Wahrnehmung, die nun allerdings ihrerseits Bilder hervorbringen kann.“[4]

 Diese erfahrenen „Bilder“ legen, wenn sie wie der Atem von alleine kommen und gehen, genau das offen, was die Übende / Behandelte in diesem Moment braucht. Das, was gut für ihr eigenes Erkennen und Entwickeln ist. Und was sie mit all seiner Tragweite, sei es eher herausfordernder oder positiver Natur, nachhaltig in ihr Sein integrieren kann.[5]



[1] Vgl. I. Middendorf, Der Erfahrbare Atem, Paderborn 2007, S.36-37 [2] G. Hüther, Die Macht der Inneren Bilder, 8. Auflage, Göttingen 2014 [3] Vgl. G. Hüther, Die Macht der Inneren Bilder, 8. Auflage, Göttingen 2014 [4] Vgl. I. Middendorf, Der Erfahrbare Atem, Paderborn 2007, S.118 [5] Vgl. Referat „Innere Bilder und der erfahrbare Atem – eine Annäherung“, Nadja Stephani, 2015



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